Vom Slum zum NBA-Basketballprofi: Erfolgsstory Stuart Truppner
Autorin des Artikels: Ulrike Parthen
Uli schreibt auch deine Geschichte ulrikeparthen.de
Titelfoto: Rüdiger Lutz
Als Kind hatte Stuart nichts zu lachen. Drei Geschwister, kaum zu essen, um sich herum Drogen, Messerstechereien und viele andere schlimme Dinge inmitten des Ghettos von Brooklyn, in dem er aufwuchs.
Umso inniger war die Beziehung zu seiner Mama, die ihm schon als Fünfjährigen prophezeite, dass er mit seinem Grips und sportlichen Ehrgeiz einmal die Familie retten wird. Also rettete er sie, indem er viele Jahre wie ein Verrückter täglich 5-6 Stunden Basketball trainierte und mit unbändigem Willen sein Ziel verfolgte, das hieß: zu gewinnen ist schöner als zu verlieren.
Ich kenne Stuart schon etwas länger, doch mir macht seine Geschichte nach wie vor Gänsehaut. Sie zeigt, was alles möglich ist, wenn man daran glaubt …
Vier Uhr morgens. Relative Stille – so still, wie es in einem Hochhaus im Ghetto Brooklyns eben sein kann
Mal hier eine Polizeisirene, mal dort Geschrei und das Rascheln der Ratten in der Wohnung. Stuart, 8 Jahre alt, liegt im Bett. „Was ist das für ein Ding auf meinem Gesicht?“, denkt er sich schlaftrunken und kommt langsam zu sich. Ach so, nur der Arm seiner Schwester Nancy, der quer über seinem Gesicht liegt. Grundsätzlich mag er Nancy ja wirklich. Nur nachts, da geht sie ihm schon manchmal auf die Nerven, wenn sie im Schlaf mal wieder um sich schlägt, als wäre sie im Boxring zugange.
Und so träumt Stuart wie so oft vom eigenen Bett – noch viel mehr aber davon, ein echter amerikanischer Basketballstar zu werden. So mancher lacht ihn dafür hämisch aus. Haha, du kleiner weißer Junge, vergiss es! Mom aber sieht das anders:
„Stuart, wenn uns einer hier aus dem Elend holen kann, dann du. Gott hat dir einen klugen Kopf geschenkt und ein großes sportliches Talent.“
Natürlich glaubt Stuart seiner Mom anstatt den anderen und trainiert begeistert jeden Tag 4 Stunden und mehr. Was anderes käme für ihn sowieso nicht in Frage, denn irgendwann mit 4 Jahren hält er ihn zum ersten Mal in seinen Händen, seine große Liebe: den Basketball. Von da an sind sie unzertrennlich.
Zunächst aber mal aufs Klo, danach ein bisschen Wasser ins Gesicht und anziehen. Für mehr reicht die Zeit nicht. Er muss wie fast jeden Tag früh los Zeitungen austragen, Taschengeld verdienen. Geld ist in seiner Familie, naja, ein echtes Problem. Sonst wäre er mit Mom und seinen drei Geschwistern nicht hier in diesem Ghetto gelandet. „Früher war alles so schön“, erzählt sie ihm oft und bekommt dann immer diesen melancholischen Blick. An die schönen Zeiten kann sich Stuart leider nicht erinnern, denn er ist gerade 4 Tage alt, als sich die Welt von einem Tag auf den anderen in die gegensätzliche Richtung dreht.
Der typische American Dream
Wenn ihn jemand lebte, dann einst seine Familie. Mom war zu Hause, kümmerte sich um die Kinder, das Haus, den Haushalt und Garten. Dad verdiente das Geld, und das nicht schlecht. „Tschüss, bis heute Abend“, verabschiedet sich sein Vater wie jeden Morgen von seiner Familie und gibt dabei zuerst den vier Knirpsen einen Kuss auf die Stirn, danach seine Frau. Die kann ihr Mutterglück kaum fassen, denn vier Tagen zuvor kam ihr Jüngster zur Welt – Stuart. Sie hält ihn zärtlich auf dem Arm, eng an sich gedrückt und streichelt ihm über seine rosige Wange, als ihr Mann sich an diesem Tag auf den Weg zum Flughafen macht.
Am Abend ist alles anders. Stuarts Dad ist tot – ein Flugzeugabsturz, den keiner der Insassen überlebte.
Vier Monate später sitzt die Familie zu fünft in einer 40-Quadratmeter-Wohnung im Ghetto. Kein Geld, keine Perspektive, Mom macht, was sie kann. Geht Tag und Nacht für ein paar lächerliche Dollar schuften. Da das kaum zum Leben reicht, fliegen sie regelmäßig aus ihrer heruntergekommenen Behausung, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können. Ständige Umzüge innerhalb des Ghettos, nie zur Ruhe kommen oder holy shit, wie der Amerikaner dazu sagen würde.
Zurück zu Stuarts Kindheits-Alltag und den Zeitungen morgens um halb fünf:
Für den ersten Packen braucht er knapp zwei Stunden, auch wenn er sich dazu kaum von der Stelle bewegt. Bis die 600 Briefkästen für die 70 Etagen im Hochhaus befüllt sind, das dauert. Schule? Eine Randerscheinung bei Stuart, und dorthin geht es auch gleich direkt nach dem Zeitungaustragen. Im Prinzip lernt er zu Hause nie etwas. Hausaufgaben? What the hell is that? Keine Zeit! Stuart schreibt trotzdem super Noten. So gesehen liegt Mom mit der Feststellung „kluges Köpfchen“ wohl richtig. Manche seine Mitschüler nennen es Phänomen und schielen neidisch auf seine 1er und 2er im Zeugnis.
Die letzte Schulstunde des Tages neigt sich zu Ende. Juhu! Stuart kann es kaum erwarten. Endlich kann er seiner großen Liebe, dem Basketball frönen. Davor noch schnell eine wichtige Pflicht erfüllen, die seinen anderen Geschwistern peinlich ist. Daher muss das Nesthäkchen ran an die Essensmarken oder besser gesagt an die LKW. Die fahren regelmäßig durch das Ghetto, vollgepackt bis obenhin mit Lebensmitteln. Wer Essensmarken hat, kann diese hier einlösen. Stuart versteht gar nicht, was daran so peinlich sein soll. Er hat Spaß dabei und die Leute sind extrem herzlich. Sie werden für ihn fast so etwas wie seine zweite Familie. Mit einer Tasche voller Zucker, Kartoffeln, Mehl und Milch rennt er los. Es kann ihm nicht schnell genug gehen zur dritten „Family“ in seinem Leben …
Stuart und der Basketball
Der Nachmittag bei seinen Basketballjungs im Verein ist die mit Abstand schönste Zeit des Tages für Stuart. Dass er als Einziger weiß ist und zudem gute zwei Köpfe kleiner als alle anderen. Ne, das stört hier niemand. Im Gegenteil: Die „großen“ Kumpels sehen sich als seine Bodyguards und wehe, jemand kommt Stuart zu nahe. So wie beispielsweise die bösen Jungs auf der Straße, die er täglich an jeder verdammten Häuserecke dieses Ghetto-Alptraums beobachten muss. Und von solchen Typen gibt es dort wahrlich genug: Zwielichte Gestalten, die sich im harmlosen Fall nur prügeln. Meistens aber sind Messer mit im Spiel, eine Menge Blut, noch mehr Polizei. Drogen natürlich auch – um die geht es ja bei der ganzen Sache.
„Hey Kleiner, haste Lust, dir 5 Dollar verdienen?“
So die verlockende Frage der Gestalten an kleinere Jungs auf der Straße. Die kriegen bei 5 Dollar sofort leuchtende Augen und sagen ja.
„Du musst nur die Papiertüte hier zwei Straßen rüberbringen zu Leroy. Der wartet an der Ecke auf dich, hat ein rotes Shirt an und dem gibst du das. Aber hey, wir beobachten dich. Schau nicht in die Tüte. Wenn doch, bist du tot, verstanden?“
Coole Sache, denken sich die Jungs. Selten so easy 5 Dollar verdient.
Eine Woche später:
„Hey, hast du Lust, dir vielleicht auch 20 Dollar zu verdienen?“
Die Päckchen werden größer und die bösen Jungs eine Spur härter im Umgang. Von jetzt an gibt’s kein Entkommen mehr. Einmal in den Fängen der Drogenszene, immer in den Fängen. Klein-Stuart fragen? Auf die Idee kommen sie erst gar nicht. Liegt an seinen Basketball-Bodyguards, die ihn nicht aus den Augen lassen.
Am Wochenende steht mal wieder ein Spiel an. Kleines Ritual, wie immer. Mom schaut ihm tief in die Augen und sagt mit fester Stimme:
„Ich hab dich lieb. Ich bin sehr stolz auf dich. Stuart, mach mich noch stolzer und die fucking Jungs platt!“
Also machte er sie platt – trotz seiner vergleichsweise Basketball-„Zwergengröße“. Ein lustiges Bild auf dem Basketballfeld. Stuart, einziger Weißer, um ihn herum nur riesige Kerle, denen er trickreich den Rang abläuft.
„Ach Mom, ich bin so klein. Das wird nichts!“, resigniert er anfangs oft. Seine Mutter sieht das anders: „Nein, Stuart, das ist ein Vorteil, setz dich durch, du wirst Wege finden zu gewinnen, denn du bist klug!“ Das verleiht ihm Bärenkräfte und er zweifelt nie wieder. Mom hat wie immer Recht. Sie ist einfach die Beste.
Kleiner Lichtblick in Sicht
Der ca. 15. Umzug steht an, endlich mal kein verdrecktes Loch in irgendeinem Hochhaus, sondern zu einer netten älteren Dame. Sie hat ein anständiges kleines Haus, im Ghetto zwar, aber was soll’s. Herrlich, diese Geborgenheit dort. So könnte es ewig weitergehen, denkt sich Stuart und genießt diese Insel der Ruhe. Whamm, nach 4 Monaten ist der Traum schon wieder ausgeträumt. Die Dame stirbt, das Haus wird verkauft, alles auf Anfang und zurück in eine der gewohnt winzigen Hochhaus-Spelunken.
Nächster Lichtblick im Anmarsch, Stuart ist inzwischen 15 Jahre alt und seine Mom bis über beide Ohren verliebt. Na, endlich, denkt sich Stuart und freut sich, Mom endlich wieder so glücklich zu sehen. Nicht lange fackeln, denken sich die Frischverliebten und heiraten bald schon. Stuart, ganz stolz, sitzt mit seinen Geschwistern auf dem Standesamt und hört die Erwachsenen „yes“ sagen. Damit hat er wieder einen Vater an seiner Seite, der nach der Zeremonie verkündet. „Wir gehen jetzt nach Hause!“ Hä? Warum laufen wir dann in die falsche Richtung, fragt sich Stuart. Nach Hause geht es links, sie aber machen sich rechtsherum auf den Weg. Kein Plan, was das soll, wird schon seine Richtigkeit haben, so seine Gedanken.
„Surprise!“ ruft Mom laut, als sie außerhalb des Ghettos vor einem schmucken Eigenheim stehen. Stuart versteht nur Bahnhof.
„Das ist unser neues Zuhause“, ergänzt sein Stiefvater stolz. Wow, das hier? Ehrlich? Stuart kriegt große Augen. Ein schickes Haus in einer gutbürgerlichen Gegend. Stuart kommt sich vor wie in einem Hollywoodfilm. Eben noch im dreckigen Loch des Ghettos gehaust, zusammen mit Ratten, Ameisen und sonstigem Getier. Einen Fingerschnipp später und zack findet er sich in diesem Schmuckstück und einem neuen Leben wieder. Alles neu, alles sauber, alles wunderschön.
Drei weitere Jahre vergehen – Stuarts Herz klopft schon wieder bis zum Hals.
Dieses Mal ist der Basketball schuld an seiner Aufregung. Der legendäre NBA Draft steht an, eine Nachwuchssichtung der Profi-Vereine. Großes Kino für jeden Nachwuchs-Basketballer in den USA. „Ich bin eingeladen, Mom. Ich bin tatsächlich eingeladen!“ Stuart kann es kaum fassen. „Was auch sonst“, entgegnet seine Mutter. Für sie keine Frage, dass ihr Jüngster einmal ganz groß rauskommen wird. Also macht Stuart das, was er die letzten 14 Jahre auch schon machte: sein Köpfchen einsetzen und als einer der Kleinsten den anderen die Show stehlen. „Gratuliere, du bist dabei!“, lautet das Urteil nach den Probespielen.
Als einer von ganz wenigen unterschreibt er im Anschluss seinen ersten Profi-Vertrag. NBA, ich komme!
Schon komisch, wenn man als 18-jähriger ehemaliger Slum-Bewohner plötzlich die ersten Millionen auf dem Konto erblickt. Sieht recht unwirklich aus für Stuart, doch die vielen Nullen vor dem Komma sind wirklich echt. Ausgeben, einen auf dicke Hose machen, angeben mit teuren Autos, Klamotten, Partys und Co.? Nix da! Stuart hält sein Geld eisern zusammen und parkt es schön auf seinem Konto. Man weiß ja nie.
Apropos Konto und Geld:
Nach drei Jahren Profi-Karriere bahnt sich ein beruflicher „Richtungswechsel“. Sein bester Kumpel aus Kindertagen, zufällig auch ein Leroy – keiner von den bösen Jungs, sondern ein herzensguter Mensch – fragt ihn: „Hey Stuart, ich habe gehört, dass dein Profi-Vertrag ausläuft. Was machst du jetzt?“
„Ich weiß es nicht!“, entgegnet Stuart relativ ahnungslos. Da kommt Leroy auf eine Idee. „Ich könnte dir einen Termin bei einer der größten Banken in New York klarmachen. Die sind ganz scharf auf Profisportler wegen der mentalen Stärke und so!“
Bei der Bank, denkt sich Stuart? Keine Ahnung von Geldgeschäften und Aktien, aber okay, soll Leroy mal machen. Kann man sich ja mal anhören. Schon eine Woche später sitzt er einem adrett gekleideten Herrn im Nadelstreifenanzug gegenüber. Irgendein Vorstand einer Abteilung, die Stuart völlig unbekannt ist. Da sich aktuell keine andere Alternative zeigt als diese, findet er langsam Gefallen an der Sache. Warum eigentlich nicht.
„Ich übertrage meine Stärken aus dem Sport 1 : 1 ins Business und möchte in spätestens zwei Jahren dein Chef sein“, erklärt Stuart dem Nadelstreifen-Herren unbescheiden sein Ziel.
Das überzeugt und er kriegt den Job – ohne Ausbildung oder Studium. Zu dem Zeitpunkt weiß Stuart nicht mal, wie man das Wort Aktie überhaupt schreibt. Warum er trotzdem davon überzeugt ist, dieses doch recht spektakuläre Ziel zu erreichen? Ganz einfach: Er schätzt sich als genauso klug ein wie sein Gegenüber. Warum sollte er also nicht schaffen, was er bereits schaffte?
„Du wirst Wege finden, um zu gewinnen, denn du bist klug!“ funktioniert auch im Aktiengeschäft. Es funktioniert überall, wenn man Stuart heißt und das dank Mom so verinnerlicht hat, dass es für alle Zeiten in der Persönlichkeit eingebrannt ist. Herr Chef und damaliger Gesprächspartner beim Vorstellungsgespräch schaut daher recht überrascht drein, als Stuart sein erklärtes Ziel wahrmacht. Nicht mal zwei Jahre später sitzt er ihm tatsächlich vor der Nase, rein hierarchisch gesehen – und ist mit knapp 24 Jahren Leiter der Aktienabteilung weltweit bei einer der größten Banken in New York. Klingt crazy, aber auch richtig gut, oder?
Die Jahre danach mischt Stuart die Aktienwelt auf, bekannt wie ein bunter Hund, begehrt, erfolgreich wie kein anderer – ab 1989 von Deutschland aus, seiner neuen Heimat. Mit 50 Jahren dann der Entschluss: Jetzt reicht’s mit Business, ich genieße mein Leben, tschüss Aktienwelt. Eine Villa, teure Nobelkarossen, Rolex und Co. suchst du bei ihm nach wie vor vergeblich. Bescheiden und bedacht wie schon als 18-Jähriger liegt ihm verschwenderischer Luxus einfach nicht.