Ist zwar absurd, du kriegst trotzdem ein Herzchen – Instagram und seine Tücken
Autorin des Artikels: Ulrike Parthen
Uli schreibt auch deine Geschichte ulrikeparthen.de
Titelfoto: Felip Mateus Campos
Ari und ich wollen es tun. Wir müssen verrückt sein! Das ist uns mit der Entscheidung zwar von Anfang an klar, aber was will man machen. Als Herausgeberinnen eines Blog-Magazins, Storytellerinnen und Netzwerkerinnen kommen wir wohl nicht drum herum um dieses Instagram.
Es gibt viele Dinge in unserem Leben, die wir heiß und innig lieben. Ari in erster Linie Brokkoli und ich meine Bettflasche. Ohne die geht im Herbst und Winter mal gar nichts. Was aber garantiert und so sicher wie das Amen in der Kirche nicht zu unseren Favorits gehört, ist Instagram.
Warum wir trotzdem mitmischen, auch wenn wir (oft) dabei fluchen, hat einen very important Grund. Welcher das ist und warum ich inzwischen an einem deutlichen Herzchen-Overload leide – du erfährst es in unserem Making-of.
Wir wollen schön!
Instagram ist ja quasi der Inbegriff von Schönheit. Zumindest bei den hippen Influencer-Girlies. Sie filtern und photoshoppen sich makellos schön (in ihren Augen!) – und denken wahrscheinlich immer noch, keiner würde das merken.
Ari und ich wollen es auch schön. Also nicht uns, sondern den Feed. Wir tüfteln ausgiebig an einem Plan, wie wir den bombastisch schön hinkriegen. Ari hat dazu schon alles ganz genau im Kopf und versucht mir das zu erklären. Ich komme nur teilweise mit, fange aber trotzdem mal damit an. Damit liegt Instagram nun in meinen Händen. Auch das noch!
Alles ist doof!
© Linda Xu
Ich finde dieses Portal zu ungefähr 95 % blöd, bei Ari ist es mindestens doppelt so schlimm. Da ich niemals riskieren würde, meine Freundin und Weggefährtin einer Überdosis Instagram-Gefühlswallung auszusetzen, opfere ich mich großzügig. Das ist Freundschaft! Dafür darf Ari sich im Gegenzug mit Pinterest herumärgern und wie ich regelmäßig mitkriege, ist das auch nicht viel besser.
Allein schon die Handhabung mit diesem Instagram, boh, wie umständlich! Liebe Leute, ich bin Desktop-Fan. Daher liebe ich meinen riesengroßen Apfelrechner auf meinem Schreibtisch. Mein Handy nutze ich meistens nur zum Telefonieren. Liebe Kinder, dafür wurde es einst tatsächlich erschaffen. Nebenbei ist es wichtigster Chat-Verbindungskanal zu zwei wichtigen Menschen, die nicht gerade um die Ecke wohnen: meine Tochter und Ari.
Ansonsten ist mir das Handy so was von egal und ich nutze es recht selten. Das hat sich dank Insta nun geändert.
Also suche und bearbeite ich alle Bilder und Zitate erst mal am Rechner. Lade sie dann in den Filebrowser, ziehe sie von dort wiederum auf mein Handy. Allein diese Tatsache reicht schon aus, um in erneute Fluch-Wallung zu geraten. Und auch wenn ich noch so zierlich und klein bin: Fluchen kann ich wie ein Zwei-Meter-Mann – mit derselben Energie.
Zumindest aber klappt unser Vorhaben bezüglich Schönheit. Jetzt sag mal ehrlich, unser Instagram-Feed ist doch megawunderschön, oder?
Muss ich wirklich?
© neonbrand
„Ist bei Instagram auch nicht anders als überall. Es lebe die Interaktion!“ Wink mit dem Zaunpfahl von Community Managerin Ari. Jajaja, hab schon verstanden. Ich solle mehr nach den anderen gucken und was ich schön finde, auch mal liken oder kommentieren. Davor habe ich mich in der ersten Zeit relativ erfolgreich gedrückt.
Also nehme ich die Tatsache (wenn auch grummelnd) hin und stöbere durch die Profile. Da Girlies Mitte 20 mit unseren Botschaften null anfangen können, muss ich eben schauen, wie ich die Ü50er in Insta finde. Und schon stecke ich mittendrin in der Welt der Fashion-Bloggerinnen, von denen es Ü50 so viele gibt, dass mir ganz schwindlig wird.
Kleines Problem an der Stelle:
Ich finde nahezu nix, was ich schön finde. Die Fotos zu 90 % qualitativ grausam und ideenlos. Sorry, aber als Fotografin-Ehegattin und Kreative habe ich einen anderen Anspruch an „Harmonie fürs Auge“. Ari ist da nicht anders. Ein paar wenige Ausnahmen retten die Sache, wie beispielsweise Susanne von textelle – woran zu erkennen ist: Fashion geht auch gehaltvoll, in Text und Bild. Die Masse der Texte klingt jedoch leider wenig gehaltvoll, sondern so:
„Hallo meine lieben Insta-Leutchen, letztes WE war ich essen mit meinem neuen Frühlingskleid von uppps. Ich liebe dieses Kleid, wegen der tollen Farben und dem leichten Stoff. Die Kollektion von uppps ist einfach mega.“
Der Text ist nach jedem Satz gespickt mit (mindestens) jeweils drei Herzen. Darunter 98 Kommentare: „Wow!“ – „Toll!“ – „Hey meine Liebe, das würde ich mir auch kaufen!“ (Ebenso herzens-geschmückt)
Immer dieselben Fotos und Posen: vor der Wohnzimmerwand oder irgendwo in der Stadt – immer dieselben Kommentare. Neugierig, wie ich bin, recherchiere ich, wer da denn jeweils kommentiert und schon wenige Minuten später ereilt mich die erhellende Erkenntnis: Willkommen im Club! Die Fashion-Bloggerinnen kommentieren sich alle gegenseitig!
Okay, ich mach halt mal mit!
Aus reinen Forschungs- und Testzwecken spiele ich das Instagram-Spiel mit. Ich verschenke Herzchen am laufenden Meter, auch wenn alles an den Posts völlig absurd ist. Hast du ein Bildchen gesehen, hast du alle gesehen. Ich bleibe tapfer und verteile außer Herzen ähnlich absurde Kommentare wie oben. Trara: Im Gegenzug kriegen wir nun auch ein paar Herzen und Messages zurück.
Da wir das so nicht lange durchhalten würden, muss Ari ran. „Bring das bitte mal mit Community Management anders zum Laufen, bitte. Und vor allem: Such uns bitte die seltenen Perlen hier, damit ich nicht noch bekloppt werde.“ So was nimmt Ari immer wörtlich. Also sucht sie. Wie sie in dem Insta-Ozean an Absurditäten an solche Perlen kommt, hat sie mir noch nicht verraten. Es sei wohl ihr Instinkt, wie sie sagt. Und dann legt sie los.
Sie beschert uns damit über 1700 neue Follower in knapp drei Monaten und doppelt bis teils bis vierfach so viele Likes/Kommentare auf viele unserer Bilder.
Und jeder weiß, wie schwierig das ist, wenn man wie wir erst bei nahezu null angefangen hat. Der Algorithmus nimmt damit Fahrt auf – noch viel besser aber an obiger Tatsache ist: Es bildet sich so langsam eine verschworene Gemeinschaft an „50plusstyle-Perlen-Community“, und die ist wertvoller als jeder anonyme Herzchenverteiler, den es natürlich auch bei uns und überall gibt.
Nur aufgrund dieser Perlen mischen wir weiterhin bei diesem Instagram mit (und Marek übernimmt meinen Posten, dazu bald mehr). Denn wie man sieht, gibt es auch in diesem oberflächlichen Kanal Menschen, die auf auf der Suche nach Botschaften und Tiefe sind.
Aufgrund der inzwischen positiven Erfahrungen mit Usern wie oben beschrieben, ist unsere Insta-Skala von „95 % blöd finden“ dann doch ein gutes Stück in Richtung „kann ja doch Spaß machen“ gerutscht.