Echtes Leben beginnt dann, wenn alle Masken fallen

Gastautorin des Artikels: Manuela Dobrileit
Titelfoto: Rüdiger Lutz

Letzte Woche habe ich mich mal wieder intensiver auf ein paar geschäftlichen und halbprivaten Veranstaltungen herumgetrieben.

Auf den ersten Blick gut besuchte busy Events mit wohl gelaunten, hoch dotierten, stylishen Menschen und fröhlich-koketten Paaren. Meist fortgeschrittenen Alters Ü50, die die Insignien eines Lebens in Wohlstand am Leib tragen, in der Hotelgarage zu stehen haben und die jeden Abend mit dem beruhigenden Wissen der absoluten finanziellen Sicherheit und des „Mir kann nichts passieren!“ ins Bett gehen.

Auf den zweiten Blick offenbarte sich mir tiefe Langeweile und Ödnis. Angeödet vom Verpflichtungscharakter derartiger Veranstaltungen, vom Sehen und Gesehen-Werden, vom Mitspielen-Müssen ab einer bestimmten gesellschaftlichen Ebene.

Angewidert von den musternden Blicken, die in Windeseile auch die kleinsten Anzeichen von Schwäche und/oder Verlust scannen.

Gelangweilt von den unausgesprochenen Vergleichen, den ungefragt selbstherrlichen Beweisen neuester Errungenschaften, die den finanziellen und damit gesellschaftlichen Status weiter zementieren sollen.

Auf den dritten Blick sah ich tiefe Leere.

Ein unglaubliches Erschöpft-Sein vom Gefühl des Mithalten- und Mitspielen-Müssen. Denn wenn auch Geld schon lange keine Rolle mehr spielt und einfach da ist, so ist es ein Trugschluss anzunehmen, dass die Menschen dadurch frei wären. Zumindest nicht diese Menschen. Die zwar schmerzvoll erfahren haben, dass das viele Geld beruhigt und einen gewissen gesellschaftlichen Status sichert, aber eben nicht das Gefühl des sich Verloren-Fühlen aufzuheben vermag.

 

Der vierte, fünfte und sechste Blick ging mir sehr nahe

Er zeigte mir Traurigkeit, tiefe Sehnsucht nach Liebe. Angst vor Verlust, vor dem Altern, vor dem Alleinsein.

Angst vor dem Tod.
Angst davor, wer man ist, wenn all das Gewohnte nicht mehr da wäre.

Die Frauen hinter ihrer teuren Maskerade aus luxuriösem Make-up, teurem Parfüm, funkelndem Schmuck und ausgefallener Designer-Garderobe. Die trotz Botox und teuerster Cremes eine so große Angst vor ihren Falten haben, dass ihnen diese förmlich aus den Augen schreit.

Die Angst, nicht mehr attraktiv genug zu sein auf dem Markt der Äußerlichkeiten.

Die Männer hinter ihrem markigen, unechten Gelächter, ihren zotigen Sprüchen und ihrem einander übertrumpfendem „Ich weiß, wie der Hase läuft“-Dominanzgebaren.

Mit steigendem Alkoholpegel offenbarten sich die traurigen Wahrheiten mehr und mehr:

Beziehungen, die in Schutt und Asche liegen.
Stagnation und Eiseskälte.
Verhärtungen. Grabesstimmung.
Zweckverbindungen, die ausschließlich auf dem gemeinsamen Besitz beruhen und die deshalb häufig auch allein deshalb aufrechterhalten werden – auch wenn es eine echte Herzensverbindung schon lange nicht mehr gibt.

Verlorene Seelen auf der Suche nach Liebe.

Je lauter das aufgesetzte Lachen wurde, desto mehr offenbarte sich, wonach sich alle in diesem Raum sehnen:

Nach echter Verbindung.
Nach Berührung im Herzen.
Nach einem Gegenüber, der sie nicht abcheckt und auf der Statusleiter nach unten oder oben einsortiert.

Jemand, dem sie sich wirklich anvertrauen können, dem sie sich so zeigen können, wie sie wirklich sind. Mit all ihren Ängsten, Unzulänglichkeiten, Sorgen, Sehnsüchten.
Jemand, der einfach zuhört, der da ist, den gesellschaftlicher Einfluss, Position, Status und Geld einen Scheiß interessiert.
Jemand außerhalb dieser ganzen Systeme, der sie als Mensch sieht. Und sich ihnen als Mensch widmet.

Ein Mensch, der die Gabe hat, sie wieder zu sich selbst zu führen. Ein Mensch, der unbestechlich ist und ihr wahres ICH hinter ihren subtilen Mechanismen und Verstecken sieht.
Ein Mensch, der spürt, wie verloren sie sich fühlen – wie sehr sie sich danach sehnen, wieder mit sich selbst verbunden zu sein und mit anderen in wahrhaftige, echte Verbindungen zu treten.

Früher haben mich solche Begegnungen oft unglaublich ermüdet, belustigt und manchmal auch in aggressive Wallungen gebracht. Jetzt war es ganz anders. Ich habe ein wahnsinniges Mitgefühl und eine große Liebe zu diesen Menschen empfunden. So, als ob ich ihnen hinter allen ihren Masken geradewegs in ihre Seele geschaut hätte.

Ich habe meinem Coach von diesen Begegnungen erzählt und gesagt: „Wenn ich eines Tages so weit bin, dass ich auf solchen Events barfüßig ungefragt free hugs verteile, bin ich dort angekommen, wo ich am dringendsten gebraucht werde.“

 

Über die Autorin:

Als Brückenbauerin zwischen emotionalen, sozialen und unternehmerischen Bedürfnissen schafft Manuela Dobrileit Verbindungen zwischen vermeintlich Unvereinbarem und etabliert die Kernpunkte für würdevolle Kooperation und wertschöpfendes Miteinander. Sie begleitet Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen als erfahrene Sparringpartnerin, wertschätzende Beraterin und unermüdliche Rückenstärkerin. // brain open – Akademie für würdevolle Führungskunst®